Was tun, wenn die Erderwärmung bedrohlich wird? Forscher diskutieren über gezielte Eingriffe ins Klima – und schrecken davor zurück. Doch der Druck steigt, Geoengineering in Experimenten zu untersuchen.
Seit dem Dezember 2015 ist zumindest das Ziel der Klimapolitik klar: Die Erderwärmung soll auf deutlich unter 2,0 Grad begrenzt werden – möglichst sogar auf 1,5 Grad Celsius. So steht es im Weltklimavertrag von Paris. Doch wie genau das erreicht werden soll – darüber konnten sich die Unterzeichner des Abkommens bislang nicht einigen.
Die freiwilligen Verpflichtungen der Länder zur Senkung der Treibhausgasemissionen reichen jedenfalls kaum aus, um die Vorgabe von Paris einzuhalten. Dazu müsste der CO2-Ausstoß wohl binnen weniger Jahrzehnte auf null sinken – aber danach sieht es bislang nicht aus.
Weshalb Wissenschaftler immer wieder auch über Geoengineering diskutieren – so wie jetzt gerade auf einer Konferenz in Berlin. Es gibt viele Ideen für gezielte Eingriffe ins Klima. Sie reichen von der simplen Aufforstung über Anlagen, die Kohlendioxid aus der Atmosphäre saugen, bis zu Manipulationen von Wolken.
Manche Forscher schlagen sogar vor, große Mengen Schwefelsäure in der Atmosphäre zu versprühen, um das Sonnenlicht zu dimmen – so wie es die Aschewolken großer Vulkane machen, nach deren Ausbruch es schon Jahre ohne Sommer gab.
Auch wenn sie verrückt erscheinen, die Ideen sind längst keine Spinnereien mehr aus dem Elfenbeinturm. „Die Beschlüsse von Paris, die Erwärmung deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, haben das Thema nach vorn gebracht“, sagt Mark Lawrence vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam, der die Tagung in Berlin organisiert hat.
„Eine rote Linie überschritten“
„Dieses Ziel ist zwar nicht unmöglich, aber sehr schwierig ohne Geoengineering zu erreichen.“ Das zeige sich an der bisherigen Arbeit der Wissenschaft: 90 Prozent der Klimasimulationen, die die mit dem Pariser Abkommen verträglichen Entwicklungspfade vorausberechnen, setzen massiv auf eine Form von Geoengineering.
Solche vermeintlichen Sachzwänge aber wollen viele Konferenzteilnehmer nicht gelten lassen. „Es gibt keinen Grund, über Geoengineering nachzudenken, weil wir noch viele andere Dinge nicht ausgeschöpft haben“, sagt zum Beispiel Lili Fuhr von der Heinrich-Böll-Stiftung. Dazu gehörten Klimaszenarien ohne die Eingriffe, die noch nicht gerechnet sind, das Kappen der üppigen Subventionen für Kohle, Öl und Gas und ein tiefgreifender Wandel im Konsumverhalten.
In jedem Fall solle die Gesellschaft in einer breiten Diskussion Regeln für mögliche Versuche zum Geoengineering festlegen, bevor diese starten dürfen. „Wenn Forscher von der Harvard University demnächst ein Freisetzungs-Experiment in der Atmosphäre machen, wird eine rote Linie überschritten“, warnt Fuhr, die in dem Punkt für eine breite Koalition politischer Gruppen spricht.
Immer klarer wird: Die Weltgemeinschaft muss den Umgang mit Geoengineering klären. „Die Forschung geht weiter, wir brauchen Regeln, die sie steuert und in eine Richtung lenkt, die der Gesellschaft nutzt und ihren Wünschen entspricht“, sagt Janos Pasztor, ehemaliger stellvertretender Uno-Generalsekretär und jetzt Leiter einer Initiative am Carnegie-Center in New York. Und auf der Ebene der Regierungen und Staaten müsse die Welt „verhindern, dass irgendjemand einfach mit einem Eingriff ins Klima anfängt“.
Eingriff dauert 160 Jahre
Doch bislang ist das Interesse von Öffentlichkeit und Politik am Thema eher gering, und so lange es keine Regeln gibt, suchen sich die Wissenschaftler ihren eigenen Weg. Meist betrifft das noch die Parameter von Computersimulationen.
Simone Tilmes, eine deutsche Forscherin vom National Center for Atmospheric Research in Boulder (Colorado), hat zum Beispiel ein Szenario untersucht, das durchaus plausibel scheint. Den Staaten der Welt gelingt es erst ab 2070, die Emissionen wirklich zu senken. Die Zwei-Grad-Grenze wäre schon längst überschritten, aber kurz bevor es gegen 2040 soweit ist, beginnt ein Programm zum Abschirmen von Sonnenlicht. Es muss 160 Jahre lang aufrechterhalten werden, um die Temperaturen zu stabilisieren.
Doch das Dimmen der Sonne hat offenbar große Nebenwirkungen: Die Regenmengen ändern sich den Simulationen zufolge teils drastisch. Es gibt Gewinner und Verlierer, aber wer was ist, lässt sich heute noch nicht feststellen.
David Keith von der Harvard University geht in seiner Forschung noch einen Schritt weiter: Er plant ein Experiment zur Freisetzung von Partikeln in der Stratosphäre. Von einem Ballon aus sollen unter anderem Wasserdampf und Schwefelsäure in etwa 20 Kilometer Höhe in die Atmosphäre versprüht werden. Danach soll gemessen werden, wie gut sich die Partikel verteilt haben.
Mögliche Folge: Saurer Regen
Keith wird nur vernachlässigbar kleine Mengen ausbringen. Wenn man jedoch große Mengen von Schwefelsäure oder anderen Partikeln in der Atmosphäre versprüht, fallen die Teilchen irgendwann auch wieder runter. Sie können dann zum Beispiel zu saurem Regen wie in den Siebzigerjahren führen – nicht so intensiv wie damals in Deutschland, aber viel großflächiger.
Außerdem dürften die Fremdkörper in der Stratosphäre die Ozonschicht angreifen, so dass mehr schädliche UV-Strahlung zur Erde gelangt und die Hautkrebsraten ansteigen. Andererseits könnte der Ozon-Smog auf der Oberfläche zurückgehen, genau wie die Luftverschmutzung – wenigstens im Durchschnitt. Das zeigen Rechnungen von US-Forschern. Für Metropolen und Ballungsräume, wo es die größten Probleme gibt, liegen noch keine zuverlässigen Daten vor.
Immer so weiter wie bisher?
Wegen der womöglich drastischen Nebenwirkungen hoffen viele Forscher, dass man solche Eingriffe ins Klima letztlich nie brauchen wird. Zugleich wollen sie größtmögliche Klarheit über die Konsequenzen: „Wenn es irgendwas gibt, was Geoengineering am Ende unmöglich oder unbrauchbar macht, dann müssen wir das jetzt wissen“, sagt Ben Kravitz vom Pacific Northwest Laboratory. Es dürfe einfach nicht passieren, dass die Menschheit wie etwa in Tilmes‘ Beispiel 2040 oder noch später erkennt, dass die Werkzeuge, auf die sie sich für den Notfall verlassen hat, doch nicht funktionieren.
Dieses Denken halten viele Forscher ohnehin für das größte Problem: Dass die Menschen im Vertrauen auf vermeintlich hilfreiche Eingriffe ins Klima ihre Bemühungen vernachlässigen, die Emissionen von Treibhausgasen zu senken.
„Das ist nach dem Motto: Lasst uns einfach so weitermachen wie bisher und irgendwann kommt ein verrückter Erfinder und erfindet uns den Klimawandel weg“, sagt Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der Klimaberater der Bundeskanzlerin, während der Konferenz den „Tagesthemen“.
Ohnehin ist das heutige Bild über die Eingriffe vermutlich zu rosig, darauf deuten die Ergebnisse vieler Forscher hin. Zum Beispiel wird das sogenannte BECCS, das in vielen Klimasimulationen vorkommt, wohl kaum so einfach funktionieren wie gedacht.
Hinter der Abkürzung verbirgt sich ein Verfahren, das Biomasse von großen neuen Plantagen zur Stromerzeugung nutzt, aber beim Verbrennen die entstehenden Treibhausgase auffängt und unter der Erde verpresst. Damit wird im Effekt das Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernt, das Bäume und Pflanzen vorher bei der Photosynthese aufgenommen haben, oder jedenfalls ein großer Teil davon.
Der CCS-Anteil des Verfahrens aber, also das Verpressen von CO2 unter der Erde, ist in Deutschland und vielen anderen Ländern vorerst am massiven Widerstand von Bürgern gescheitert. „Ohne CCS gibt es aber auch kein BECCS“, warnt Naomi Vaughan von der University of East Anglia. Zudem zeigen Modellrechnungen inzwischen, dass es kaum möglich sein wird, so viele Energiepflanzen anzubauen, wie die Klimamodelle angenommen haben.
Ob die gezielten Eingriffe ins Klimasystem tatsächlich als Lösung taugen, falls die Menschheit ihre Emissionen nicht in den Griff bekommt, kann derzeit niemand sagen.
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